2 Hardfische unter Palmen

Zwei Hardfische in Beirut

 

Vom 16.-21. November haben Robert und Ed geholfen ein Programm zu starten, das die Integration syrischer Flüchtlingskinder und benachteiligter Kinder im Libanon durch Sport fördert. Natürlich durch Ultimate! Johanna von Toggenburg hat das Konzept, in einem von der giz (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Auftrag gegebenen Projekt entworfen. Herausgekommen ist ein fettes Handbuch, das Trainern schrittweise die Vermittlung von Ultimate für Kinder und Jugendliche erläutert.

 

Doch wie kam es dazu, dass zwei Hardfische nach Beirut reisen?

Robert hat öfter mal beruflich im Libanon zu tun. Über Sabine, meine Frau, die auch Arbeitskollegin von Robert ist, kam der Kontakt zu Johanna und damit zur lokalen Ultimate Szene zustande. Immer wenn Robert in Beirut war, hat er mit den Flying Cedars trainiert.

 

Der Arbeitgeber von Sabine und Robert, die GFA Consulting Group aus Hamburg, stellt jedes Jahr über das Programm „GFA Bridges“ Fördergelder für ehrenamtliche Projekte der Mitarbeiter zur Verfügung. Zusammen mit Sabine kam Robert die Idee durch das Ausbilden von Trainern die vorhandenen Strukturen in Beirut so zu unterstützen, dass Kinder langfristig in Ultimate gecoacht werden können. Johanna knüpfte Kontakte zu einer Schule und einem Waisenhaus, stellte einen Zeitplan auf, schrieb ein Konzept und schon war das Projekt eingereicht. Die Idee Kindern durch Ultimate wichtige soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Vertrauen, Respekt und Empathie zu vermitteln, überzeugte die Auswahljury von GFA Bridges, weil Ultimate durch den Spirit of the Game diese Werte auf einzigartige Art und Weise in den Sport integriert.

 

Scheiben wurden entworfen und bestellt (Danke an die tollen Sondertarife und die rasche Bearbeitung durch Eurodisc!), die Schulleiterin von Ed wurde erfolgreich überredet ihn 3 Tage vom regulären Unterricht freizustellen und schon flogen zwei Hardfische mit 65 Scheiben im Gepäck in den Libanon.

Am ersten Tag, ging es in das Waisenhaus "Home of Hope" in den Bergen, etwa 20 Minuten außerhalb von Beirut, in Kahleh. Hier leiten zwei Amerikaner, Brady und Steve die christliche Einrichtung, die ca. 50 Kinder und Jugendlichen zwischen 4 und 19 Jahren ein Zuhause und Bildung bietet. Sie sind syrische Waisen, stammen aus verwahrlosten oder gewalttätigen Familien im Libanon oder lebten ohne Papiere auf der Straße. Nachdem uns die beiden jungen Heimleiter die Einrichtung und die schwierigen Bedingungen der Kinder vor Ort beschrieben hatten, trafen wir auch schon auf die ersten neugierigen Augenpaare. Das Training fand auf einem Betonplatz vor dem mehrgeschossigen Haus statt, das an einem Hang liegt. Um auf den Platz zu gelangen, gingen wir von der Eingangsebene der Straße durch verschiedene Ebenen des Heims. Der Blick fiel auf überfüllte Schlafsäle und hoffnungsvolle Parolen an den Wänden.

 

Nach und nach trudelten die Kinder ein und nach einer kleinen Vorstellungsrunde auf Englisch, das simultan ins Arabische übersetzt wurde, durften die Kinder auf diesem farbenfrohen Betonplatz endlich in einer Gassenaufstellung zu zweit unsere nagelneuen Scheiben fliegen lassen. Nach und nach bekamen die Kids den Dreh raus und wir konnten herausforderndere Spiele anleiten, die zum Ultimate führen.

 

Die anfängliche Skepsis wich dem Enthusiasmus, und im Sonnenschein des Nachmittags waren dann auch die letzten Fussballfans voll im Frisbee-Fieber. Die kleine Spielfläche von ca. 20x50 m war eingerahmt durch das Schulhaus, ein Treppen-Amphitheater nach oben, einem Nachbarhaus und einem Zaun, durch den man bis in die Tiefebene von Beirut, auf das Mittelmeer und die sich senkende Sonne blicken konnte.

Die wenigen Stunden auf dem Sportplatz werden von den Kids erwartungsvoll herbeigesehnt. So konnten wir unsere 90 minütige Einstiegseinheit mit überaus bewegungswilligen und motivierten Kindern durchführen. Die Meisten haben begeistert mitgemacht, froh über die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit und Achtung. Die Aussicht darauf, dass jede Woche Frisbee Coaches kommen, um mit ihnen zu spielen und sie zu trainieren, wurde freudig aufgenommen. Auch die gestifteten Scheiben, Hütchen und Leibchen steigern die Zuversicht, dass das keine Eintagsfliege ist. Und wenn sie dann tatsächlich ihre erlernten Fähigkeiten im Ultimate als Team gegen ein anderes Schülerteam aus Beirut messen dürfen, auf einem echten Sportplatz ohne Steine werfende Nachbarn, nicht auf Beton sondern auf grünem Kunstrasen, dann werden ihre Augen noch mehr glänzen.

Erschöpft und voller neuer Eindrücke verließen Johanna, Robert und ich das Gelände in Richtung Beirut, um unser Herzstück des Projektes für den Folgetag vorzubereiten: der Training of Trainers Workshop, eine Multiplikatorenschulung für Ultimate Spieler, Trainer, Lehrer und Sozialarbeiter aus dem Libanon, die im Vorfeld Interesse an einer Mitarbeit an unserem Projekt gezeigt haben. Ziel soll es sein, den Umgang mit Jugendlichen in diesem Frisbeeprojekt zu erlernen: das stufenweise Steigern einfacher Übungen; die Vermittlung von Freude und dem SOTG; die systematische Planung eines Trainings und auch ein klares Rollenverständnis als Trainer und Vorbild.

Dazu hatten wir uns am Sonntag für 8 Stunden an der AUB, der American University of Beirut zusammengefunden. Eine grüne, moderne Oase im verbauten und vom Verkehr erdrückten Stadtbild. Mit schickem, grünen Kunstrasenfeld, mit Seminarraum mit Klimaanlage, mit Beamer, Tafel und Methodenkoffer. Es kamen 25 junge, motivierte Menschen, die unseren Input begeistert aufnahmen - für das Coaching ihrer eigenen Teams, um ihre Skills zu erweitern, um Ultimate kennenzulernen, um zu sehen wie Johanna und zwei Hamburger Hardfische Ultimate Frisbee vermitteln. Auch Steve und Brady vom Home of Hope, aber auch Rose, Lehrerin an unserer zweiten Partnerschule, dem Heart for Lebanon, waren den ganzen Tag begeistert dabei. Sie kamen alle an ihrem freien Tag und arbeiten geduldig und interessiert an unserem Workshop mit.

Auch als in unserem fensterlosen Seminarraum durch einen Powercut der Strom ausfiel, bewahrten alle die Ruhe und schon sprangen die Dieselgeneratoren an und wir hatten bald wieder Licht. Auch das passiert hier selbst im hochmodernen Unicampus nahezu täglich. Die Stadt kommt mit der Stromversorgung nicht mehr nach und nur die, die sich einen Generator und den Treibstoff dazu leisten können, bleiben elektrifiziert. Nahezu ebenso schlimm ist die Wasserversorgung. Neben dem städtischen chlorierten Leitungswasser greifen viele Häuser auf selbstgebohrte und inzwischen versalzene Brunnen zurück. Trinkwasser in dem Sinne gibt es ausschließlich aus der Plastikflasche.

Wir haben beim Workshop versucht, jeden Teilnehmer mit seinen unterschiedlichen individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen abzuholen und zu inspirieren. Anhand der erschöpften aber motiviert dreinblickenden Gesichter am Ende unseres Abschlussspieles, denke ich, dass uns das ganz gut gelungen ist. Und das Beste war das viele positive Feedback am Ende, gekrönt von der Meldung neuer Freiwilliger beim Fortsetzen der Trainings-Einheiten an den Schulen, wenn Robert und ich wieder in Deutschland sind. Für die qualitative Festigung und den Ausbau von Ultimate im Libanon war dies eine sehr feine Sache.

 

Am Montag gab es vormittags Zeit zum Sightseeing in dieser wachsenden Metropole, die noch viele Narben ihres Bürgerkrieges (1975-1990) und dem Krieg mit Israel (2006) zu verheilen hat. Abends unterstützte ich das Training des Uni-Teams der AUB, die mit US-Coach Ryan das vorhergehende Wochenende in Dubai bei den Middle East-North African Championships (MENA) den 18.Platz errungen hatten. Danach ging es entlang der Mittelmeer-Uferpromenade weiter nach Nedjmeh zum Training der "Flying Cedars", dem Team das Johanna coacht und 2015 selbst ins Leben gerufen hat. Hier sollte ich eine Trainungseinheit zum Thema "advanced flow" leiten, was ich mit Roberts Hilfe auch schön knackig im Hardfisch-Style mit Liniendrills als Warmup, der "Säge" und dem "Mitläufer" durchführte. Das Training fand auf grün gestreiftem Kunstrasen mit Flutlicht neben einem Mini-Dom mit Riesenrad statt: "Force Ferris Wheel"! Man konnte sehen, wie die Spieler, Libanesen und Expats, die Möglichkeit von frischen Drills und neuem Input genossen, und sich voll reinwarfen.

 

Dienstag war bereits der letzte Tag meiner Reise, ein Training dem dicht bebauten Stadtteil Beiruts, Burj Hamoud, mit Schülern der Einrichtung von Rose, dem Heart for Lebanon. Die erste Herausforderung bestand für Rose darin, ihre 32 Schülerinnen und Schüler an diesem schulfreien Tag (Mohammeds Geburtstag) vom Treffpunkt an der Schule durch den Beiruter Berufsverkehr zu Fuß ca. 20 min. zum Spielfeld zu geleiten. Wer den Verkehr und die Gewohnheiten im Mittleren Osten kennt, weiß, wie schwer das für Fußgänger ist, ganz zu schweigen von so einer großen Gruppe von Kindern. Zumal es keine Gehwege gibt, oder diese zugeparkt sind durch verbeulte Autos, die in Deutschland vor 30 Jahren fuhren: alte BMWs und Mercedes, VW-Käfer, Opel Rekord usw. Dazwischen gerne auch mal ein Porsche Cayenne mit mattem Lack oder ein Hummer H3.

 

Am Platz angekommen gab es zwei mitgenommene Mini-Kunstrasenfelder zwischen großen Häuserblocks neben einer Baustelle. Zum Glück gab es Netze, die ein Davonfliegen der Scheiben verhinderten. Zu Rose und uns drei Experten gesellte sich noch Joy, eine erfahrene Sozialarbeiterin, die zwei Tage zuvor bei unserem Multiplikatorentraining ihren persönlichen Erstkontakt mit Ultimate hatte. Sie konnte ihre sozialen Erfahrungen voll mit einbringen. Zu fünft konnten wir diese altersheterogene aber disziplinierte Gruppe gut betreuen und für Ultimate begeistern. Auch diese jungen Menschen lebten ihren Spieltrieb an den Frisbee-Spielformen, die wir anleiteten, voll aus. So kamen wir sehr zügig auch bei den ganz kleinen Zehnjährigen hin zu einem Parteispiel mit Hotbox. Auch diese Schüler freuen sich auf die kommenden Ultimate Trainingseinheiten mit Johanna und den anderen am Sonntag trainierten Freiwilligen. Das Spielfeld mit Flutlicht ist reserviert, Scheiben, Hütchen und Leibchen sind gekauft und stehen der Schule zur Verfügung.

Nach einigen Wochen Training soll es eine Zusammenführung der beiden Schulteams geben, damit sie sich im fairen Wettkampf messen können, und zeigen, was sie in der Zeit gelernt haben. Quasi die erste kleine inoffizielle Stadtmeisterschaft für Schülerinnen und Schüler in Beirut. Ohne Schiedsrichter. Mit Spirit. Bis dahin werden wohl die bereitgestellten Trainingsscheiben noch den ein oder anderen Kratzer bekommen.

Die hervorragende Arbeit von Johanna für Ultimate im Libanon könnte sogar dazu führen, dass große Entwicklungsorganisationen Mittel für ein Programm zur Integration durch Ultimate zur Verfügung stellen. Erste zarte Anzeichen lassen hoffen. Mit ihrer einmaligen Leistung für den Frisbeesport hat Johanna wichtige Impulse im Libanon gesetzt, so dass es zur Bildung der LFDA (Libanese Flying Disc Association) und den ersten 4 Teams (AUB, Flying Cedars, Blitz) in Beirut und Umgebung (Zahle) kam, die bereits bei international an Turnieren mitgespielt haben. Der Boden ist bereitet, die Samen sind gepflanzt, jetzt können wir auf Regen und Sonne hoffen, dass es so weitergeht. Oder wie es die Kinder im "Home of Hope" an die Wand geschrieben haben:

 

"DREAM BIG!"

 

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Ed - Andreas Glindemann, in großer Dankbarkeit für die Teilnahme an diesem Projekt, das durch die GFA Consulting Group finanziert wird, wofür meine Schulleiterin mir freigegeben hat, Dank an Johanna als geistige Quelle, Arbeitsbiene, Networkerin und Gastgeberin, Dank an fellow Teammate Robert, der GFA und Ultimate im Libanon zusammengebracht hat und Dank zu allermeist an meine Frau Sabine, die sich inhaltlich und organisatorisch eingesetzt und mir mit unseren Kindern zu Hause den Rücken freigehalten hat.

 

Ein großer Dank an Brady und Steve vom Home of Hope, und an Rose von Heart for Lebanon die immer für Ihre Kids da sind, die sich für Ultimate an Ihren Einrichtungen einsetzen und ohne die dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre.

 

Wer nach dem Lesen dieses Artikels Interesse bekommen hat, eine Reise in den Libanon zu unternehmen und mit der dortigen Ultimate Szene in Kontakt zu treten, sei ausdrücklich eingeladen genau dies zu tun. Trainingsbesuche, Austausch, Materialspenden (Discs, Ultimate Kleidung) etc.

Ahlan wa sahlan. Seid willkommen!


Nächstes Training

Wed, 24.04.2024 19:30
  Teamtraining Hardfisch/Seagulls (Schanzenplatz)
Fri, 26.04.2024 18:00
  Grundlagentraining (Schanzenplatz)
Wed, 01.05.2024 19:30
  Teamtraining Hardfisch/Seagulls (Schanzenplatz)
Fri, 03.05.2024 18:00
  Grundlagentraining (Schanzenplatz)
Wed, 08.05.2024 19:30
  Teamtraining Hardfisch/Seagulls (Schanzenplatz)
Fri, 10.05.2024 18:00
  Grundlagentraining (Schanzenplatz)

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